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Kalender 2015

- Bitte... zeichne mir ein Schaf!
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„Der kleine Prinz“ Antoine de Saint-Exupéry

       
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01

Die großen Leute haben eine Vorliebe für Zahlen.

Wenn ihr ihnen von einem neuen Freund erzählt, befragen sie euch nie über das Wesentliche. Sie fragen euch nie:
„Wie ist der Klang seiner Stimme? Welche Spiele liebt er am meisten? Sammelt er Schmetterlinge?“
Sie fragen euch :
„Wie alt ist er? Wieviele Brüder hat er? Wieviel wiegt er? Wieviel verdient sein Vater?“
Dann erst glauben sie, ihn zu kennen .
Wenn ihr zu den großen Leute sagt:
„Ich habe ein sehr schönes Haus mit roten Ziegeln gesehen , mit Geranien vor den Fenstern und Tauben auf dem Dach ...“
dann sind sie nicht imstande, sich dieses Haus vorzustellen .

Man muss ihnen sagen: „Ich habe ein Haus gesehen , das hunderttausend Franken wert ist.“
Dann schreien sie gleich : „Ach wie schön!“


02

„An einem Tag habe ich die Sonne dreiundvierzigmal untergehen sehn!“

Und ein wenig später fügtest du hinzu:
„Du weißt doch , wenn man recht traurig ist, liebt man die Sonnenuntergänge...“
„Am Tage mit den dreiundvierzigmal warst du also besonders traurig?“
Aber der kleine Prinz antwortete nicht.


03

In der Tat gab es auf dem Planeten des kleinen Prinzen wie auf allen Planeten gute Gewächse und schlechte Gewächse.
Infolgedess en auch gute Samenkörner von guten Gewächsen und schlechte Samenkörner von schlechten Gewächsen. Aber die
Samen sind unsichtbar. Sie schlafen geheimnisvoll in der Erde, bis es einem von ihnen einfällt, aufzuwachen. Dann streckt er
sich und treibt zuerst schüchtern einen entzückenden kleinen Spross zur Sonne, einen ganz harmlosen. Wenn es sich um einen
Radieschen- oder Rosentrieb handelt, kann man ihn wachsen lass en , wie er will . Aber wenn es sich um eine schädliche Pflanze
handelt, muss man die Pflanze beizeiten herausreißen , sobald man erkannt hat, was für eine es ist. Auf dem Planeten des kleinen
Prinzen gab es fürchterliche Samen ... und das waren die Samen der Affenbrotbäume. Der Boden des Planeten war voll davon.
Aber einen Affenbrotbaum kann man , wenn man ihn zu spät angeht, nie mehr loswerden. Er bemächtigt sich des ganzen
Planeten . Er durchdringt ihn mit seinen Wurzeln. Und wenn der Planet zu klein ist und die Affenbrotbäume zu zahlreich
werden, sprengen sie ihn.
„Es ist eine Frage der Disziplin“, sagte mir später der kleine Prinz. „Wenn man seine Morgentoilette beendet hat, muss man
sich ebenso sorgfältig an die Toilette des Planeten machen . Man muss sich regelmäßig dazu zwingen , die die Sprösslinge
der Affenbrotbäume auszureißen, sobald man sie von den Rosensträuchern unterscheiden kann , denen sie in der Jugend
sehr ähnlich sehen. Das ist eine zwar langweilige, aber leichte Arbeit.“



04

„Wenn einer eine Blume liebt, die es nur ein einziges Mal gibt auf allen Millionen und Millionen Sternen, dann genügt es
ihm völlig, dass er zu ihnen hinaufschaut, um glücklich zu sein. Er sagt sich: Meine Blume ist da oben, irgendwo...

Wenn aber das Schaf die Blume frisst, so ist es für ihn, als wären plötzlich alle Sterne ausgelöscht!“



05


„Adieu“, sagte er zur Blume.
Aber sie antwortete ihm nicht.
„Adieu“, wiederholte er.
Die Blume hustete. Aber das kam nicht von der Erkältung.
„Ich bin dumm gewesen“, sagte sie endlich zu ihm. „Ich bitte dich um Verzeihung. Versuche, glücklich zu sein.“
Es überraschte ihn, dass die Vorwürfe ausblieben. Er stand ganz fassungslos da, mit der Glasglocke in der Hand.
Er verstand diese stille Sanftmut nicht.
„Aber ja, ich liebe dich“, sagte die Blume. „Du hast nichts davon gewusst. Das ist meine Schuld. Es ist ganz unwichtig. Aber du
warst ebenso dumm wie ich . Versuche, glücklich zu sein ... Lass diese Glasglocke liegen! Ich will sie nicht mehr...“
„Aber der Wind...“
„Ich bin nicht so stark erkältet, dass... Die frische Nachtluft wird mir gut tun. Ich bin eine Blume.“
„Aber die Tiere...“
„Ich muss wohl zwei oder drei Raupen aushalten, wenn ich die Schmetterlinge kennenlernen will. Auch das scheint sehr schön
zu sein. Wer wird mich sonst besuchen? Du wirst ja weit weg sein. Was aber die großen Tiere angeht, so fürchte ich mich nicht.
Ich habe meine Krallen.“
Und sie zeigt treuherzig ihre vier Dornen.
Dann fügte sie noch hinzu:
„Zieh es nicht so in die Länge, das ist ärgerlich. Du hast dich entschloss en zu reisen. So geh!“

Denn sie wollte nicht, dass er sie weinen sähe. Es war eine so stolze Blume.




06

„Was machst du da?“ fragte er den Säufer, den er stumm vor einer Reihe leerer und einer Reihe voller Flaschen sitzend antraf.
„Ich trinke“, antwortete der Säufer mit düsterer Miene.
„Warum trinkst du?“ fragte ihn der kleine Prinz.
„Um zu vergess en“, antwortete der Säufer.
„Um was zu vergess en?“ erkundigte sich der kleine Prinz, der ihn schon bedauerte.
„Um zu vergess en, dass ich mich schäme“, gestand der Säufer und senkte den Kopf.
„Weshalb schämst du dich?“ fragte der kleine Prinz, der den Wunsch hatte, ihm zu helfen.
„Weil ich saufe!“ endete der Säufer und verschloss sich endgültig in sein Schweigen.


07

Er wusste nicht, dass für die Könige die Welt etwas höchst Einfaches ist: Alle Menschen sind Untertanen.

„Du wirst also über dich selbst richten“, antwortete ihm der König.
„Das ist das Schwerste. Es ist viel schwerer, sich selbst zu verurteilen, als über andere zu richten. Wenn es dir gelingt,
über dich selbst gut zu Gericht zu sitzen, dann bist du ein wirklicher Weiser.“



08

...er zündete seine Laterne wieder an.

Der kleine Prinz sah ihm zu, und er liebte diesen Anzünder, der sich so treu an seine Weisung hielt. Er erinnerte sich
der Sonnenuntergänge, die er einmal gesucht hatte und um deretwillen er seinen Sess el rückte.
Er wollte seinem Freund beispringen:
„Weißt du ... ich kenne ein Mittel, wie du dich ausruhen könntest, wenn du wolltest...“
„Ich will immer “, sagte der Anzünder.
Denn man kann treu und faul zugleich sein.
Der kleine Prinz fuhr fort:
„Dein Planet ist so klein, dass Du mit drei Sprüngen herumkommst. Du musst nur langsam genug gehen, um immer
in der Sonne zu bleiben. Willst Du dich ausruhen, dann gehst Du... und der Tag wird so lange dauern, wie Du willst.“
„Das hat nicht viel Witz“, sagte der Anzünder, „was ich im Leben liebe, ist der Schlaf.“
„Dann ist es aussichtslos“, sagte der kleine Prinz.
„Aussichtslos“, sagte der Anzünder. „Guten Tag.“

Und er löschte seine Lampe aus.



09

„Ich frage mich“, sagte er, „ob die Sterne leuchten , damit jeder eines Tages den seinen wiederfinden kann. Schau meinen
Planeten an. Er steht gerade über uns... Aber wie weit ist er fort!“
„Er ist schön“, sagte die Schlange. „Was willst Du hier machen?“
„Ich habe Schwierigkeiten mit einer Blume“, sagte der kleine Prinz.
„Ah!“ sagte die Schlange.
Und sie schwiegen.

„Wo sind die Menschen?“ fuhr der kleine Prinz endlich fort.
„Man ist ein bisschen einsam in der Wüste...“
„Man ist auch bei den Menschen einsam“, sagte die Schlange.


10

„Was bedeutet das: ‚zähmen‘?“
„Das ist eine in Vergess enheit geratene Sache«, sagte der Fuchs. “Es bedeutet: sich ‚vertraut machen‘.“
„Vertraut machen?“
„Gewiss“, sagte der Fuchs. „Du bist für mich noch nichts als ein kleiner Knabe, der hunderttausend kleinen Knaben völlig gleicht. Ich brauche dich nicht, und du brauchst mich ebensowenig. Ich bin für dich nur ein Fuchs, der hunderttausend Füchsen gleicht. Aber wenn du mich zähmst, werden wir einander brauchen. Du wirst für mich einzig sein in der Welt. Ich werde für dich einzig sein in der Welt...“
„Ich beginne zu verstehen“, sagte der kleine Prinz. „Es gibt eine Blume... ich glaube, sie hat mich gezähmt...“
„Das ist möglich“, sagte der Fuchs. „Man trifft auf der Erde alle möglichen Dinge...“
Der Fuchs verstummte und schaute den Prinzen lange an:
„Bitte... zähme mich!“ sagte er.
„Ich möchte wohl“, antwortete der kleine Prinz, „aber ich habe nicht viel Zeit. Ich muss Freunde finden und viele Dinge kennenlernen .“
„Man kennt nur die Dinge, die man zähmt“, sagte der Fuchs. „Die Menschen haben keine Zeit mehr, irgend etwas kennenzulernen. Sie kaufen sich alles fertig in den Geschäften. Aber da es keine Kaufläden für Freunde gibt, haben die Leute keine Freunde mehr.
Wenn du einen Freund willst, so zähme mich!“
„Was muss ich da tun?“ sagte der kleine Prinz.
„Du musst sehr geduldig sein“, antwortete der Fuchs. „Du setzt dich zuerst ein wenig abseits von mir ins Gras. Ich werde dich so verstohlen , so aus dem Augenwinkel anschauen, und du wirst nichts sagen. Die Sprache ist die Quelle der Mißverständniss e. Aber jeden Tag wirst du dich ein biss chen näher setzen können ...“
„Es wäre bess er gewesen, du wärst zur selben Stunde wiedergekommen“, sagte der Fuchs. „Wenn du zum Beispiel um vier Uhr nachmittags kommst, kann ich um drei Uhr anfangen , glücklich zu sein. Je mehr die Zeit vergeht, um so glücklicher werde ich mich fühlen. Um vier Uhr werde ich mich schon aufregen und beunruhigen; ich werde erfahre, wie teuer das Glück ist. Wenn du aber irgendwann kommst, kann ich
nie wiss en , wann mein Herz da sein soll ... Es muss feste Bräuche geben .“
So machte denn der kleine Prinz den Fuchs mit sich vertraut. Und als die Stunde des Abschieds nahe war:
„Ach!“ sagte der Fuchs, „ich werde weinen.“
„Das ist deine Schuld“, sagte der kleine Prinz, „ich wünschte dir nichts Übles, aber du hast gewollt, dass ich dich zähme...“
„Gewiss“, sagte der Fuchs.
„Aber nun wirst du weinen!“ sagte der kleine Prinz.
“Bestimmt“, sagte der Fuchs.
„So hast du nichts gewonnen!“
„Ich habe“, sagte der Fuchs, „die Farbe des Weizens gewonnen.“
Dann fügte er hinzu: „Geh die Rosen wieder anschauen. Du wirst begreifen, dass die deine einzig ist in der Welt.
Du wirst wiederkommen und mir adieu sagen, und ich werde dir ein Geheimnis schenken.“

Und er kam zum Fuchs zurück:
„Adieu“, sagte er...
„Adieu“, sagte der Fuchs.
„Hier mein Geheimnis. Es ist ganz einfach:
man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.“
„Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar “, wiederholte der kleine Prinz, um es sich zu merken .
„Die Menschen haben diese Wahrheit vergess en“, sagte der Fuchs.
„Aber du darfst sie nicht vergess en. Du bist zeitlebens für das verantwortlich, was du dir vertraut gemacht hast.
Du bist für deine Rose verantwortlich ...“

„Ich bin für meine Rose verantwortlich ...“, wiederholte der kleine Prinz, um es sich zu merken .


11

„Guten Tag“, sagte der kleine Prinz.
„Guten Tag“, sagte der Weichensteller.
„Was machst du da?“ sagte der kleine Prinz.
„Ich sortiere die Reisenden nach Tausenderpaketen“, sagte der Weichensteller. „Ich schicke die Züge, die sie fortbringen,
bald nach rechts, bald nach links.“
Und ein lichterfunkelnder Schnellzug, grollend wie der Donner, machte das Weichenstellerhäuschen erzittern.
„Sie haben es sehr eilig“, sagte der kleine Prinz, „Wohin wollen sie?“
„Der Mann von der Lokomotive weiß es selbst nicht“, sagte der Weichensteller. „Das wechselt.“
„Waren sie nicht zufrieden dort, wo sie waren?“
„Man ist nicht zufrieden dort, wo man ist“, sagte der Weichensteller.
Und es rollte der Donner eines dritten funkelnden Schnellzuges vorbei.
„Verfolgen diese die ersten Reisenden?“, fragte der kleine Prinz.
„Sie verfolgen gar nichts“, sagte der Weichensteller. „Sie schlafen da drinnen oder sie gähnen auch.
Nur die Kinder drücken ihre Nasen gegen die Fensterscheiben .“
„Nur die Kinder wiss en, wohin sie wollen“, sagte der kleine Prinz.
„Sie wenden ihre Zeit an eine Puppe aus Stoff-Fetzen, und die Puppe wird ihnen sehr wertvoll,
und wenn man sie ihnen wegnimmt, weinen sie ...“
„Sie haben es gut“, sagte der Weichensteller.


12

„Die Menschen bei dir zu Hause“, sagte der kleine Prinz, „züchten fünftausend Rosen in ein und demselben Garten
...und doch finden sie dort nicht, was sie suchen ...“
„Sie finden es nicht“, antwortete ich ...
„Und dabei kann man das, was sie suchen, in einer einzigen Rose oder in ein biss chen Wass er finden ...“
„Ganz gewiss“, antwortete ich.

Und der kleine Prinz fügte hinzu: „Aber die Augen sind blind. Man muss mit dem Herzen suchen.“

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